Anne Frank im Ernst Deutsch Theater Hamburg
Das Stück "Anne" erweckt die weltberühmten Tagebücher zu neuem Leben.
Die gebürtige Frankfurterin Anne Frank verbrachte den Großteil ihres 15 Jahre kurzen Lebens auf der Flucht vor den Nazis in den Niederlanden. Dort lebte sie gemeinsam mit ihrer Familie die letzten zwei Jahre vor ihrer Verschleppung in das KZ Bergen-Belsen, wo sie auch den Tod fand, in einem versteckten Hinterhaus in Amsterdam. Heute ist der jungen Literatin mit dem tragischen Schicksal in der holländischen Metropole ein eigenes Museum gewidmet. Zudem wurde in Amsterdam extra ein eigenes Theater errichtet, in dem die von dem Autorenehepaar Leon de Winter und Jessica Durlacher verfasste Dramatisierung des Inhalts der berühmten Tagebücher aufgeführt wird. Bei dem daraus entstandenen Stück "Anne" handelt es sich um die direkt vom Anne Frank Fond beauftragte und autorisierte Version von Anne Franks Geschichte.
Das Theaterstück wandert von Amsterdam nach Hamburg
Jetzt feierte "Anne" in der Inszenierung von Yves Jansen am Ernst Deutsch Theater seine deutsche Erstaufführung. Oder wie ein englisches Sprichwort sagt: „Discover the beauty of the play in Hamburg with a young escort companion“. Das Stück beginnt denkbar unbeschwert mit einer Szene in einem Pariser Straßencafé, in dem das Leben nach Kriegsende erneut erwacht. Mittendrin befindet sich Anne (Kristin Suckow) mit ihren Freundinnen. Die junge Frau ist voller Hunger auf lange entbehrtes Essen und auf das Leben an sich. In Paris trifft Anne einen Verleger (Oliver Warsitz), in den sie sich verliebt und dem sie ihre Geschichte erzählt. - Der Zuschauer weiß bereits, dass diese Szene nur Annes Vision einer möglichen Zukunft ist, die leider niemals eingetreten ist. Trotz ihrer äußerlich trostlosen Lage schrieb Anne im Exil in Amsterdam noch voller Entschlossenheit Dinge in ihr Tagebuch, wie: "Ich will fortleben, auch nach meinem Tod." Die fiktive Figur des Verlegers wird im weiteren Verlaufe des Stücks beibehalten. Immer wieder tritt Anne aus der eigentlichen Handlung heraus, um ihm - und somit auch dem Zuschauer - das Geschehen zu kommentieren.
Das Streben nach Normalität unter abnormen Bedingungen
Im Zentrum von Yves Jansens Version des Stücks liegt Annes Bemühen, trotz ihres Lebens in einem permanenten Ausnahmezustand ein Gefühl von Normalität zu bewahren. Statt mit Resignation und Verzweiflung, versucht Anne ihrer Lage auf geradezu spielerische Weise zu begegnen. Dies führt zu Konflikten mit den anderen Mitgliedern ihrer Familie. Das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen, auf engsten Raum zusammengepferchten, Charaktere führt oft zu grotesken Situationen. Hierbei überzeugt insbesondere Kristin Suckow als Anne, die sie auf beeindruckende Weise mit einer Mischung aus frühreifer Rebellin und jugendlicher Naivität verkörpert. Neben Sukowas Spiel trägt auch das aufwendige Bühnenbild von Peter Schmidt mit seiner Klarheit und Offenheit dazu bei, dass der Schrecken des über der Familie schwebenden Damoklesschwerts in Gestalt der Verfolgung durch die Nazis in diesem skurrilen Mikrokosmos weitestgehend ausgeblendet ist. Das mag für den an Bilder des Holocausts gewöhnten Zuschauer unrealistisch wirken. Aber vielleicht muss man sich tatsächlich erst seine eigene Welt aufbauen, um wie Anne Frank unter diesen Umständen noch ein Tagebuch von nicht nur historischen Wert zu verfassen. - Leider hat Anne Franks Geschichte auch als ein trauriges Flüchtlingsschicksal erneut an Aktualität gewonnen. Lediglich die Richtung der Flüchtlingsströme hat sich heute umgekehrt...