Anne Frank wird im Hamburger Ernst Deutscher Theater lebendig
Nach großen Erfolgen in Amsterdam wurde das Bühnenstück "Anne", das von den Autoren Jessica Durlacher und Leon de Winter nach den berühmten Tagebüchern der Anne Frank geschrieben wurde, nun auch im Hamburger Ernst Deutsch Theater in deutscher Erstaufführung inszeniert. Die Tagebücher des jüdischen Mädchens, das zusammen mit ihrer Familie zwei Jahre versteckt in einem geheimen Zimmer einer Amsterdamer Wohnung lebte, um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen und schließlich doch im Konzentrationslager Auschwitz sterben musste, erhält auf der Bühne neues Leben. In unserer heutigen Zeit, in der viele Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt werden und in Deutschland Zuflucht suchen, ist dieses antifaschistische Mahnmal wieder hoch aktuell geworden.Die Parallelen werden von den Autoren auch in einem Interview hervorgehoben, das im Programmheft abgedruckt ist. Das Bühnenstück beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit Anne Frank und ist in enger Anlehnung an die Tagebücher geschrieben.
Für alle, die bereits die Tagebücher gelesen haben, ist die erste Szene zunächst verwirrend. Anne sitzt in einem Pariser Café und wünscht sich eine ganze Schokoladentorte und isst gebratenes Hühnchen. Doch nicht nur nach Nahrung hungert das Mädchen sondern auch nach Liebe und Anerkennung. Im Café trifft sie auf einen Verleger, der ihr Tagebuch lesen möchte. Sie zieht jedoch vor, ihm daraus zu erzählen.So wird der Zuschauer in die Geschichte eingeführt.
Die junge, studentische Hamburger Schauspielerin Kristin Suckow versteht es, perfekt in die Rolle Annes zu schlüpfen und lässt die Gestalt des 13-jährigen Mädchens mit all ihren Charkterzügen, ein wenig altklug, aufmüpfig aber durch und durch liebenswert, auf realistische Weise lebendig werden.
Das Stück zeichnet sich durch eine ausgezeichnete psychologische Interpretation der Situation aus, in der Anne und ihre Familie leben. Hoffnungen wechseln mit ?ngsten ab, Druck entsteht, der Konfliktsituationen erzeugt. Am Ende sind es stets die Eltern, die eine notwendige Disziplin wieder herstellen, auch wenn es selbst ihnen immer schwerer fällt.
Autoren und Regisseur bedienen sich verschiedener Arten, um dem Zuschauer der Inhalt des Tagebuchs zu verdeutlichen. In vielen Szenen spricht Anne laut, während Sie in ihr Tagebuch schreibt. An anderen Stellen sitzt der Verleger, der auf überzeugende Art von Oliver Warsitz gespielt wird, am Bühnenrand und fungiert als Dialogpartner, der innere Monologe hörbar macht. Viele Teile des Stücks sind dialogisiert. Schließlich, nach der Verhaftung, übernimmt Annes Vater (Frank Jordan) die Erzählung. Er ist der einzige der Familie, der den Holocaust überlebte und musste im KZ zusehen, wie seine Töchter an Typhus starben. Er weiß auch um die Träume, die Anne im Fieberwahn heimsuchten und so erfährt der Zuschauer schließlich, dass die erste Szene im Café in Paris nur ein Traum war.
Zweieinhalb Stunden dauert das Bühnenstück und die starke Handlung, perfekt in Szene gesetzt und von einem großartigen Ensemble meisterhaft ausgeführt, hält den Zuschauer vom ersten bis zum letzten Moment im Bann. Anne, die in ihrem Tagebuch wünscht, "nicht umsonst gelebt" zu haben, hat sich mit ihren Tagebüchern selbst ein Monument gesetzt, das eine auch heute aktuelle Botschaft, ein Plädoyer für die Menschlichkeit, beinhaltet. Die Hamburger Aufführung trägt ein wenig zu Annes Wunsch bei und lädt auf subtile Weise dazu ein, eine aktuelle Problematik in einem anderen Licht zu betrachten.